Beiläufig

10. August 2022

 

foto Man steige ins Auto und nehme eine beliebige Landstraße irgendwo in Frankreich. Unter Garantie gelangt man in kürzester Zeit an einen verträumten kleinen Ort, wo man das Auto abstellt, zu Fuß die verwinkelten Gassen entlang geht und eine malerische Ansicht nach der anderen gewärtigt.

Ramatuelle ist einer dieser zahllosen malerischen Orte und zugleich Beispiel für die Normalität, die dort herrscht. Alles, nicht nur die Gegend, auch die Menschen lassen sich nicht anmerken, dass sie in einem Märchendorf ihren Besorgungen nachgehen, als wäre es normal. Für sie ist es das schließlich, eine Alltäglichkeit, die sie nie anders erlebten.

Es ist, als müsse man sich fortwährend kneifen, um sich zu vergewissern, dass man tatsächlich inmitten dieser Umgebung und nicht etwa im Traum wandelt.

Vollends surreal wird es, wenn man gerade im Begriff ist, die formale und tonale Harmonie einer weiteren dieser Ansichten auf sich wirken zu lassen, als just dann ein Zeitgenosse vorbeikommt, der kaum zu erkennen ist, so geradezu chamäleonhaft passt sein Äußeres einschließlich des grünen Accessoire, das er mit sich herum trägt, zur Szenerie. Zeitweilig lässt er den Dorfplatz im Dornröschenschlaf mit seinem Kurzauftritt zu einem einzigartigen Moment werden.

Es sind diese Momente, die man sich in ihrer maximalen Beiläufigkeit nicht auch nur ansatzweise ausdenken könnte. Sie passieren. Einfach so, unentwegt. Eine lakonische Randbemerkung des Schicksals, für die man fragen möchte, 'hast Du das eben gesehen?' und doch stumm seiner Wege geht, da die Antwort ('was?') erforderte, etwas unbeschreibliches in Worte fassen zu müssen.

Als kurioser Zusatzeffekt wirken jene Momente auch im Bild entsprechend. Kaum ein Betrachter lässt sich auf ihren Zauber ein. Für die meisten ist es die Szenerie 'Französischer Dorfplatz am Nachmittag', wer länger hinschaut meint eventuell die Ansicht 'Passant bei Besorgungen' zu erkennen. Nichts Besonderes eben und nichts Besonders ist es ja. Es bleibt auch als Bild eine lakonische Randbemerkung.

So ist das mit der Bühne des öffentlichen Raums. Das Leben bespielt sie gänzlich selbstvergessen, als wäre sie ein von Hitchcock inszenierter Cameo-Auftritt. Aber wer hat schon Zeit für Beiläufigkeiten.





 

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